Heimat ist da, wo nichts fehlt

Heimat ist da, wo nichts fehlt

 

Gordana (53) und Vladi (56) Jovanović, Näherin bei Doppler, Inneneinrichter bei Brühwasser Wohnkultur, aus Serbien, in Österreich seit 1990

 

Vor wenigen Wochen durfte ich ein Diplom der Wirtschaftskammer entgegennehmen – 35 Jahre Arbeit für die Firma Doppler. Eine Zeitspanne, länger als viele Ehen heutzutage, und etwas, worauf ich durchaus ein bisschen stolz bin. Drei Jahrzehnte, in denen wir unser Leben Schritt für Schritt aufgebaut haben – manchmal wie eine To-do-Liste, nur dass zwischen den einzelnen Punkten viele Hürden lagen, die wir nicht hatten kommen sehen. Sich in einem neuen Land ein Leben aufzubauen, klingt rückblickend so harmonisch. Eine schöne Erfolgsstory. Ein Paradebeispiel für gelungene Integration. Doch der Weg dorthin war nicht idyllisch, sondern lang, steinig und voller Prüfungen. Besonders dann, wenn man – wie wir damals – jung aufbricht, das Vertraute hinter sich lässt und irgendwo zwischen Abschied und Neubeginn lernen muss, das Wort „Heimat“ neu zu definieren.

 

Unsere Geschichte beginnt in Požarevac, einer Stadt mit rund 65.000 Einwohner:innen, südöstlich von Belgrad. Der Name bedeutet „Feuerstadt“. Einer alten Legende nach brannte einst das Schilfmeer, und aus dieser Glut entstand der Ort, der uns bis heute daran erinnert, dass man manchmal etwas Altes hinter sich lassen muss, damit Neues entstehen kann. So wie wir damals – mit nur 17 und 20 Jahren.

Meine Eltern lebten bereits in Österreich und arbeiteten dort. Vladi lernte ich in Serbien kennen, und bald beschlossen wir, ebenfalls nach Österreich zu ziehen – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Eine sichere Arbeit, ein regelmäßiges Einkommen, eine Zukunft für unsere Kinder.

Ich war noch nicht volljährig und bekam deshalb über meine Mutter eine Aufenthaltserlaubnis. Danach folgte die Arbeitserlaubnis – und schließlich krönten wir alles mit unserer Hochzeit.

Natürlich sprachen wir kein Deutsch – das war wohl die größte Hürde am Anfang, doch ich fand eine Anstellung als Hilfsarbeiterin bei Doppler und war von Menschen umgeben, mit denen ich Deutsch sprechen konnte. Am Anfang wusste ich oft nicht einmal, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Ich verstand weder die Erklärungen noch die Kritik an meiner Arbeit. Ein Gefühl, das mich zunächst lähmte, aber auch motivierte, besser zu werden. Zudem bekam ich Unterstützung von einer guten Freundin aus Braunau. Wir unternahmen viel gemeinsam, und so konnte ich nebenbei üben. Nach und nach kam ich hinein, besuchte zusätzlich Sprachkurse, die ich selbst bezahlte. Schließlich stieg ich von der Hilfskraft zur Hauptnäherin auf. Heute arbeite ich in einem Team von sechs Frauen, in dem wir die Auflagen für Gartenmöbel herstellen. Ich liebe meine Arbeit bis heute, weil ich nach einem Prinzip lebe: Wenn du kein Herzblut in deine Arbeit steckst, ist es nicht die richtige für dich, oder umgekehrt. Wenn ich etwas mache, dann ganz oder gar nicht und ich hatte das Glück, in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem die Atmosphäre stimmte und man uns immer auf Augenhöhe begegnete. Dafür bin ich dankbar – und hoffe, dass ich noch bis zur Pension bleiben darf.

Vladi hingegen hatte anfangs weniger Glück – und lernte statt Deutsch zunächst Polnisch. Er arbeitete in Uttendorf als Glasschmelzer, umgeben von polnischen Kollegen. Ein Bonus, falls wir einmal in Polen Urlaub machen. Mit Deutsch dauerte es also länger – aber irgendwann hatte auch er den Bogen raus. Jahrelang arbeitete er als Glasschmelzer und Glasmacher und als Hausmeister. Seit 2010 ist er bei Brühwasser Wohnkultur als Inneneinrichter angestellt – vom Verlegen der Böden bis zum Montieren der Vorhänge. Ein Mann, der wirklich alles kann. Und dazu auch noch musikalisch: Vladi spielte viele Jahre neben der Arbeit Harmonika in einem Orchester – ein Stück Heimat, das er sich aus Serbien bewahrt hat. Wenn er nicht gerade arbeitet oder musiziert, summt es gewaltig um ihn. Sein zweites Hobby sind nämlich Bienen, die er – ausgerechnet wegen einer Pollenallergie – für sich entdeckt hat. Mittlerweile ist die Allergie fast verschwunden, doch er ist stolzes Mitglied im Bienenverein. Er kennt und liebt seine Bienen – und hat jede Menge lustige Anekdoten zu erzählen. Ich hätte nie gedacht, dass Imkern so aufregend sein kann. Allein die Suche nach der Königin – darüber könnten wir ein Buch schreiben. Vielleicht tun wir das, wenn wir in Pension sind.

Ich hingegen biete seinen Bienen die nötige Weidefläche, denn ich liebe das Gärtnern. Es ist eine willkommene Abwechslung zum Nähen. Früher lebten wir in einer kleinen Wohnung in der Stadt. Heute haben wir ein Haus, einen großen Garten und damit eine Freiheit, die man mit nichts aufwiegen kann. Für mich gibt es nichts Schöneres, als Lebensmittel aus dem eigenen Garten. Natürlich ist das Arbeit – und zu Beginn auch eine Investition – aber in Krisenzeiten ist es ein gutes Gefühl zu wissen, dass man sich selbst versorgen kann. Neben dem Gärtnern genieße ich die Spaziergänge mit unseren Hunden – frühmorgens, wenn halb Braunau noch schläft und ich die Ruhe der Stadt einatmen kann. Und natürlich die Zeit mit unseren Töchtern und unserer Enkeltochter – die nur so vor Lebensfreude und Bewegungsdrang strotzt. Das hält jung und zugegebenermaßen hat sie das sicher auch von uns geerbt.

Ein gemeinsames Hobby haben wir auch, obwohl ich es nicht „Hobby“ nennen würde, sondern Lebensinhalt: unseren Glauben. Wir gehören zu jenen Familien, die damals das ehemalige Kapuzinerkloster gekauft haben. Wir trugen die Spenden für den Kauf zusammen und konnten uns den Traum vom eigenen Gotteshaus in Braunau erfüllen. Seit damals ist uns der Sonntag heilig. An diesem Tag findet die Messe statt, es gibt Religionsunterricht für Kinder, Unterricht in unserer Sprache und es trifft sich unser Kolo srpskih sestara – eine Gruppe von etwa zwanzig Frauen, die sich um die Verpflegung der Mitglieder und Reinigung der Räume kümmern. Wir engagieren uns ehrenamtlich, sammeln Spenden und unterstützen humanitäre Projekte – in Serbien und vor Ort, denn das ist unser innerer Kompass. Im Serbischen gibt es eine Redewendung: Lepa reč i gvozdena vrata otvara. Ein freundliches Wort öffnet selbst eiserne Türen. Und nach diesem Prinzip funktioniert alles im Leben, auch Integration. Wenn du Menschen mit Freundlichkeit begegnest, erntest du selten Feindseligkeit. Aber die Initiative – die muss schon von dir selbst kommen.

Durch Arbeit, Familie, Kirche und Freundschaften haben wir gelernt, dass Heimat der Ort ist, an dem man alles hat, was einem wichtig ist – der Ort, an dem nichts fehlt.

 

 

 

 

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