Mit Sevdah und Suppenkelle um die Welt

Mit Sevdah und Suppenkelle um die Welt

 

Esed Halilović, 59, Koch im KH Braunau, aus Bosnien und Herzegowina, in Österreich seit 2007

 

Meine Geschichte müsste eigentlich den Titel tragen: „Wie ein unscheinbarer Junge aus Bosnien zum internationalen Koch wurde.“ Allerdings klingt das zu sehr nach Wunder und zu wenig nach Arbeit. Doch das Leben ist eine Mischung aus beidem: eine Prise Glück und eine XXL-Suppenkelle voller Mühe. In meinem Leben war ich vieles: Zimmermädchen, Kellner, Bauarbeiter, Unternehmer und Koch. Jede Tätigkeit war eine Lektion fürs Leben oder diente als Sprungbrett zu etwas Neuem. Ich bin überzeugt, dass gerade meine Generation aus Ex-Jugoslawien aus einem besonders robusten Holz geschnitzt ist – und es gab keinen Arbeitgeber, der das nicht erkannt hätte.

Ich wurde 1966 in Živinice, im Kanton Tuzla in Bosnien und Herzegowina, geboren. In dieser Stadt besuchte ich die Schule für Tourismus und Gastronomie. Die Ausbildung bot verschiedene Schwerpunkte an. Ich entschied mich dafür, Koch zu werden, da ich schon immer die Welt bereisen wollte – und mit diesem Beruf hatte man damals die besten Aussichten. Allerdings führte mich mein erster Schritt nicht in die Küche, sondern ins Housekeeping. Im ersten Jahr waren alle Plätze für die Kochausbildung belegt, und so wurde ich Zimmermädchen. „In der Not frisst der Teufel Fliegen“, sagt man so schön – und so fühlte es sich an, doch rückblickend war es kein verlorenes Jahr: Diese Zeit brachte mir viel über Ordnung, Sauberkeit und Disziplin bei. Fähigkeiten, die mir später als Koch zugutekamen. Das Leben im ehemaligen Jugoslawien war nicht schlecht, zumindest nicht für uns Schüler:innen der Tourismusschule. Unsere Schule hatte Verträge mit verschiedenen Hotels in ganz Kroatien. Dadurch erhielten jedes Jahr rund 35 von uns die Möglichkeit, mit dem Bus direkt von Tuzla an die Adriaküste zu fahren. Ich war damals 15 Jahre alt und konnte den ganzen Sommer am Meer verbringen. Allerdings nicht nur mit Sonnenbaden und Sprüngen ins Wasser. Die Hotels stellten uns eine Unterkunft zur Verfügung, und wir arbeiteten von früh bis spät. Trotzdem war es eine unvergessliche Zeit: Wir hatten eigene kleine Bungalows, gutes Essen, den Strand direkt vor der Nase und das Gefühl, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Es passierte nicht selten, dass wir Wochen zu spät zum Unterricht im neuen Semester erschienen, weil wir in Kroatien gebraucht wurden. Nach meinem Abschluss 1985 wollte ich mir eine Pause gönnen und einfach meine Jugend genießen, doch das Leben hatte andere Pläne. Ein Freund bat mich, ihn nach Kroatien zu begleiten, um ihm bei „einer“ Arbeit zu helfen. So standen wir dort: meine Kameraden, ich und die sengende kroatische Sonne. Die Arbeit bestand aus dem stundenlangen Ernten von Lavendelbüschen. Beim Abendessen erzählte Siniša, unser Chef, dass im Hotel Arkada Starigrad Hvar ein Koch gesucht werde – mit eigenem Zimmer, Pool und der Möglichkeit, wertvolle Erfahrung zu sammeln. Ich nahm die Gelegenheit wahr und arbeitete dort, bis die Saison vorüber war. Da es im Winter keine Arbeit in der Gastronomie gab, wollte ich in Opatija Hotellerie studieren, doch dieser Traum scheiterte an meinen begrenzten finanziellen Mitteln. Um über die Runden zu kommen, arbeitete ich als Bauarbeiter. Später zog es mich nach Zadar, wo ich im Restoran Laguna anfing. Jeden Tag 350 Essen, alles à la carte und hausgemacht bis ins letzte Detail. Mein Vorgesetzter war Feđa Dundov. Dieser Mann zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Er erkannte meinen Wissensdurst und pflegte zu sagen: „Eure Generation von Arbeitern war die beste, die ich jemals hatte“, und so behandelte er mich. Er verlangte Disziplin und ein gepflegtes Äußeres. Im Gegenzug schenkte er mir alle Freiheiten der Welt. Seine 24 Meter lange Yacht? Ich hatte die Schlüssel und durfte, wann immer mir danach war, meine Runden drehen. Im Winter, als es am Meer ruhig wurde, kehrte ich zurück nach Tuzla, um eine weitere Ausbildung zu absolvieren. Eines Tages stand plötzlich der Briefträger vor der Tür. In der Hand ein Kuvert voller Geld. Er sagte: „Mit lieben Grüßen von Herrn Dundov.“ Dieses Geld für meine Ausbildung hat er nie zurückverlangt. Viele Jahre später revanchierte ich mich. Ich trug einen Teil meines Ersparten zusammen, besuchte ihn und gab es ihm zurück. Er schaute mich erstaunt an, denn er hatte es längst vergessen. Ich hingegen werde diesem mittlerweile 78-jährigen Mann für immer dankbar sein. Es gibt nichts Wertvolleres im Leben als Menschen, die an dich glauben. Ohne ihn hätte ich nie diese Leidenschaft fürs Kochen entwickelt – eine Leidenschaft, die mich in Restaurants in Deutschland, Ungarn und Großbritannien führte. Während der Kriegsjahre in Bosnien arbeitete ich in Deutschland, doch als in Bosnien wieder Frieden herrschte, kam der Bescheid, dass ich das Land verlassen muss. Die so genannte „Duldung“ war abgelaufen. Über einen befreundeten Koch kam ich nach London. Ich bewarb mich bei der Radisson-Hotelkette und wurde aufgenommen. Von diesem Zeitpunkt an kochte ich 14 Jahre lang für die Crème de la Crème. Michael Jackson, Tina Turner, Michael Schumacher, Gordon Ramsey und Jamie Oliver – sie und weitere 2.500 Menschen pro Tag gingen bei uns ein uns aus. Im Radisson arbeitete die ganze Welt – oder war hier zu Besuch. Bei rund 87 Köchen lernte ich viel über Miteinander, verschiedene Sprachen und kaufte in dieser Zeit meine ersten Immobilien, für die ich, wie sich später herausstellte, einen guten Riecher hatte. Nachdem ich meine Frau kennen gelernt und eine Familie gegründet hatte, wollte ich weg. London war kein guter Ort, um Kinder groß zu ziehen und so kamen wir durch einen Verwandten meiner Frau nach Ranshofen. Damals war es in Oberösterreich schwer, eine Fixanstellung als Koch zu bekommen. Darum arbeitete ich überall, unter anderem für Red Bull in Graz. Ich liebe die Formel1 seit jeher und denke, dass es nur wenige Menschen gibt, die sie so gut kennen wie ich – und das sage ich ohne einen Funken Überheblichkeit. Es war eine aufrichtige, fast kindliche Faszination für diesen Sport und die jahrelange Erfahrung in der Gastronomie, die dafür sorgten, dass ich als einer von vier Köchen von insgesamt 45 aufgenommen wurde. Ich reiste mit dem Team an verschiedene Orte der Welt. Eine riesige Entourage mit der ich nicht selten für 50.000 Menschen kochte. Weil die Arbeit extrem anstrengend und nicht familienfreundlich war, ging es ir-
gendwann zurück nach Braunau, wo ich für Borbet, den Schnaitl Keller und schließlich fürs Krankenhaus Braunau arbeitete. In einer Phase meines Lebens war ich sogar selbständig und hatte ein Unternehmen für Tiefkühlfrüchte aus Bosnien. Ein 160 Quadratmeter großes Kühlhaus, 67 Tonnen Kapazität und dutzende Kunden. Es lief richtig gut – bis ich nicht mehr lief. Die Arbeit zehrte an mir, zusammen mit den vielen Enttäuschungen, die man als Unternehmer im Konkurrenzkampf einsteckt. Ich verabschiedete mich von meiner Selbständigkeit, denn ich wollte wieder Ruhe in meinem Leben. Zeit für die Familie, für „Sevdah“ (bosnische Volksmusik), meine Harmonika, (gemeinnützige) Projekte und Reisen nach Bosnien. Ich habe so viele Länder bereist, aber mein Herz teile ich auf drei Orte auf – jenen, an dem meine Familie lebt, den Ort, an dem ich Feđa Dundov traf und mein geliebtes Bosnien, denn Heimat ist für mich der Ort, an dem mein Herz Frieden findet.

Mehr
News