Musik ist Heimat
Lidia Coste, 32, Musiklehrerin, aus Rumänien, in Österreich seit 2017
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Wenn ich die Geige in die Hand nehme, wird es ganz still um mich herum. Jeder Bogenstrich ist wie ein tiefer Atemzug. Ob man es an meinem Gesicht erkennt, weiß ich nicht, aber in mir findet ein Orchester an Emotionen statt. Wenn ich Kindern ihre Namen in Form von Tönen beibringe, wir aus Blumentöpfen Trommeln basteln oder ich ihnen mit meiner Handpuppe die Musik spielerisch näher bringe, dann sehe ich dieses Leuchten in ihren Augen und weiß in solchen Momenten: Ich bin angekommen – in meiner Musik, meinem Beruf, meiner neuen Heimat. Die Musik ist eine universelle Sprache. Sie kennt keine Herkunft, Namen oder Hautfarben. Es ist jene Sprache, mit der ich mich am besten identifizieren kann.
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Ich bin in Klein-Wien aufgewachsen. Das sagt Ihnen nichts? So wird Timișoara, meine Heimatstadt in Rumänien, auch genannt. Die Stadt liegt im Westen Rumäniens und wird, wegen ihrer prachtvollen Altbauten aus der Habsburger Zeit, auch als Klein-Wien bezeichnet. Es war also schon immer eine Verbindung zwischen mir und Österreich vorhanden. Meine Heimatstadt war 2023 Europäische Kulturhauptstadt und die erste Stadt Europas mit elektrischer Straßenbeleuchtung – ein Symbol für Fortschritt und Aufbruch. Ein bisschen wie das, was ich in meinem Leben auch immer erreichen wollte.
Ich bin in einer Familie aufgewachsen, die viel Wert auf Musikalität und Bildung legt, auch wenn meine Eltern beruflich in anderen Bereichen arbeiten. Auf den ersten Blick ist keine Verbindung zur Musik erkennbar, hauptsächlich weil meine Eltern selbst sehr strenge Eltern und viel weniger Chancen im Leben hatten als meine Schwester und ich. Mein Vater spielt jedoch leidenschaftlich gern Gitarre und schreibt seine eigenen Gedichte und meine Mutter, Lehrerin für Französisch und Rumänisch, ist ein Genie der Rumänischen Sprache, die ich immer in meinen Liedern verewigen wollte. Sie hat mich dazu inspiriert, meine eigenen Liedtexte zu schreiben. Außerdem haben sie dafür gesorgt, dass wir in unseren jungen Jahren die besten Konzerte Europas besuchen konnten. Sie haben uns Tickets für Bon Jovi in Budapest gekauft, uns zu einem Jazz Festival nach Montreaux geschickt und für Inspiration vom rumänischen Violinisten Alexander Tomescu und seiner Stradivari-Geige gesorgt. Sie haben in unsere Träume investiert, während ihre eigenen still im Hintergrund blieben – wie Bilder, die nie zu Ende gemalt wurden. Doch wir Eltern wissen: Für die Träume unserer Kinder geben wir bereitwillig alles – Zeit, Kraft, Geld und Liebe.
Ich habe in meiner Heimatstadt das Musikgymnasium mit Fachrichtung Geige besucht und die Matura absolviert. Anschließend studierte ich Kulturwissenschaften, weil ich mit Menschen arbeiten wollte. Dabei lernte ich verschiedene Sprachen wie Serbisch, Englisch und Deutsch und war ein Semester lang in Frankreich. Die Musik blieb in dieser Zeit nur ein Hobby, aber sie hat mich nie verlassen. Egal wo ich war, ich fand immer musikbegeisterte Menschen, die mit mir spielen wollten, beispielsweise eine christliche Gemeinde und ihre mehrsprachige Jugendgruppe in Frankreich, mit der ich regelmäßig musizierte.
Nach der Universität lernte ich meinen Mann kennen. Wir heirateten und ich zog nach Oradea. Ich arbeitete in meinem Fachbereich bei einer NGO für Roma und Sinti. Daneben arbeitete ich daran, meine Fähigkeiten rund um die Geige zu verbessern. Irgendwann hat mein Mann Arbeit in Österreich gefunden, in jener Stadt, in der bereits ein Teil seiner Familie lebte, in Braunau. Wenn wir ins Ausland gehen, dann nur im Doppelpack, beschlossen wir. So zogen wir gemeinsam in ein neues Land. Nach einem Jahr in Braunau bekamen wir unser erstes Kind. Ich begann in der Freien Christengemeinde Geige zu spielen und arbeitete in der School of Pop als Geige-Lehrerin und im Bereich Songwriting. Ich war zwei Jahre lang im Orchester der Musikfreunde Braunau-Simbach als erste Geige aktiv und unterrichtete nebenbei Kinder in Geige. Ich schrieb meine eigenen Lieder und machte mich mit YouTube als Plattform für meine Videos vertraut. Außerdem unterrichtete ich zwei Jahre lang Religion an einer Volks- und Mittelschule – eine Aufgabe, die ich mit viel Freude erfüllt habe, aber schließlich aufgeben musste, weil sie sich mit meinen familiären Verpflichtungen und den Musikprojekten nicht mehr vereinbaren ließ. Ich absolvierte verschiedene Deutschkurse auf der VHS, bis Niveau B2, denn die paar Brocken Deutsch aus meinem Studium reichten bei Weitem nicht aus.
Heute bin ich dreifache Mama und stehe kurz davor, meine eigene Musikwerkstatt im ZIMT zu starten – ein Herzensprojekt, das schon jetzt ausgebucht ist und eine Warteliste hat. Für mich ist das nicht nur ein großes Kompliment für meine Arbeit, sondern auch eine Herausforderung, auf die ich mich riesig freue. Die Arbeit mit Kindern ist meine große Leidenschaft. Sie mit Musik zu verbinden, ist für mich das Schönste, was ich mir vorstellen kann. Ich glaube ans Schicksal und daran, dass wir gottgegebene Talente haben, die wir nützen müssen, wenn wir auf der Suche nach Glück und innerem Frieden sind und das sind wir doch alle heutzutage, nicht wahr? Das eine aber wissen wir: Wer Gott liebt, dem dient alles, was geschieht, zum Guten. Dies gilt für alle, die Gott nach seinem Plan und Willen zum neuen Leben erwählt hat (Römerbrief 8,28). Ein Bibelvers, der mir immer wieder Richtung und Zuversicht gibt.
Ich fühle mich hier zuhause, nicht zuletzt, weil mittlerweile viele meiner Familienmitglieder ebenfalls hier leben. Besonders schätze ich das verlässliche Gesundheitssystem – etwas, das man erst zu würdigen weiß, wenn man aus einem Land kommt, in dem es nicht selbstverständlich ist. Das einzige was ich vermisse ist meine Schwester, eine konstante Freundin in meinem Leben, und meine Eltern, aber wir besuchen sie regelmäßig und damit hält sich das Heimweh gerade noch in Grenzen.
Integration ist für mich in erster Linie Mut. Mut zur neuen Sprache, Mut, aus dem kulturellen Cluster, in dem sich Neuzugezogene oft befinden, herauszutreten und der neuen Umgebung eine Chance zu geben. Mut wird immer belohnt – auf die eine oder andere Weise.


