Stell’ dem Schicksal eine Falle

Meine neue Heimat

Die Serie „Meine neue Heimat“, entstanden aus dem Prozess „Zusammenleben in Braunau“, stellt Menschen vor, die aus verschiedensten Ländern nach Braunau am Inn gekommen sind und in unserer Stadt eine neue Heimat gefunden haben. Die Beiträge zu dieser Serie stammen von Mag. Elma Pandžić. Falls auch Sie Menschen mit Migrationshintergrund kennen, die in Braunau leben und eine interessante Lebensgeschichte mitbringen, schreiben Sie bitte an: elma.pandzic@gmail.com

Stell’ dem Schicksal eine Falle

Khabat Nemr, 29, Lehrerin für Französisch, Trainerin im Rucksack-Projekt, aus Syrien, in Österreich seit 2017

Der deutsche Dichter Schiller sagte einst: „Es kämpft jeder seine Schlacht allein.“ Wer sich dazu entschließt, einsam zu sein, dem mag das gefallen. Wenn man im Kriegsgebiet Einsamkeit erlebt, prägt einen das fürs ganze Leben.
Als der Krieg Syrien erreichte, machte er auch vor meiner Familie nicht Halt. Ich habe fünf Geschwister. Zwei Schwestern und drei Brüder, und alle sind verstreut über mehrere Länder. Viele haben früh die Chance genützt und Syrien verlassen, so auch meine Eltern und mein Mann, der 2015 nach Österreich gekommen ist und Asyl beantragt hat. Ich blieb alleine in Syrien zurück. Nicht, weil mich jemand vergessen hatte, ich eine unangenehme Fluchtgefährtin war oder schlichtweg nicht gehen wollte. Ich hatte ein Baby, und weil die Reise alles andere als sicher war, wollten mein Mann und ich auf eine günstigere Gelegenheit warten. Für mich war es unvorstellbar, mich in eines der Schlauchboote zu setzen und mein Schicksal und das meines Kindes in die Hände von Menschen zu legen, die ich nicht kannte und die auch sonst keinen sonderlich guten Ruf genossen. Ja, das Schicksal… Viele von uns Syrern fühlen sich von ihm verraten. Die einen haben, so wie ich, Französisch studiert und das Studium nie abgeschlossen, die anderen, wie mein Mann, mussten ein gut laufendes Bekleidungsgeschäft schließen. So viele zerstörte Träume und Hoffnungen. Nun könnte ich mich hinsetzen und mir tagtäglich die Augen aus dem Kopf heulen, weil unser Leben so ist, wie es ist, aber das tue ich nicht. Zum einen bin ich nicht allein – viele von uns hat dasselbe Schicksal ereilt. Zum anderen bin ich kein Mensch, der an unschönen Dingen festhält, also erzähle ich, wie ich dem Schicksal eine Falle stelle.
Mein Mann hat, in Österreich angekommen, Familienzusammenführung beantragt. Es dauerte ganze zwei Jahre, bis der Prozess ins Laufen kam. Ich hatte mehrere Interviews in der Botschaft in Teheran, bis meine Tochter und ich uns auf den Weg nach Österreich machen konnten – von Syrien über den Iran und Griechenland bis nach Wien. Diesmal reisten wir mit dem Flugzeug und auf einem sicheren Weg, wofür ich sehr dankbar war. So sehr wir uns auf ein Wiedersehen freuten – unsere Tochter konnte den Papa nach zwei Jahren nicht mehr erkennen. Es dauerte eine Weile, bis wir als Familie wieder Boden unter den Füßen spüren konnten. Was meine Geschichte mit den anderen aus der Rubrik „Meine neue Heimat“ vereint, ist, dass der Anfang schwer war. In Österreich konnte ich mit Französisch nicht viel anfangen, und weil meine Tochter noch zu klein für den Kindergarten war, war ich quasi an unsere vier Wände gebunden. Um mich verständigen zu können, nutzte ich das Internet als Lernplattform und lernte von zuhause aus Deutsch. Später hatte ich die Möglichkeit, einen Kurs zu besuchen, was mir half, mein Deutsch zu verbessern und unter Menschen zu kommen.
Ich liebe Sprachen und suche meist selbst den Kontakt zu anderen. So kam ich auch zu meiner Stelle als Trainerin im Rucksack-Projekt. Dabei handelt es sich um ein Bildungsprogramm, das seit 2016 in den Kindergärten der Stadt Braunau für Familien mit und ohne Migrationshintergrund angeboten wird. Die TeilnehmerInnen erlernen nicht nur die deutsche Sprache, sondern festigen zugleich die Muttersprache. Auch wenn wir aus vielen verschiedenen Ländern stammen, Deutsch vereint uns, denn es ist die einzige Sprache, auf die wir zurückgreifen können. Das Rucksack-Projekt vermittelt nicht nur Sprachkompetenzen, sondern bekämpft Einsamkeit auf eine ganz einfache Art und Weise. Wir sitzen quasi alle im selben Boot und das sorgt für Zusammenhalt in der Gruppe. Wir tauschen uns aus und lernen auch über Sitten und Bräuche in Österreich. Diese unterscheiden sich oftmals sehr von unseren. Alter ist hier beispielsweise keine Barriere. Ich bewundere die Österreicher, die auch im hohen Alter noch studieren. In Syrien ist das anders.
Was ich an Österreich besonders schätze? Na, die Gesetze. Das klingt so schön gereimt und irgendwie plump, aber Recht und Ordnung geben mir ein Gefühl von Sicherheit. Natürlich gib es auch jene, die der Ansicht sind, wir „Ausländer“ interessieren uns nicht für deren Kultur und Gesetze oder seien, zum Beispiel aufgrund des Kopftuchs, nicht kommunikationsfähig. Ich hoffe, dass gerade diese Menschen meine Geschichte lesen. Mein großer Wunsch für die Zukunft: sehr gutes Deutsch sprechen (ich bin eine kleine Perfektionistin) und selbstständig sein, indem ich arbeite und mich weiterentwickle. Wie also stelle ich dem Schicksal eine Falle? Ich akzeptiere es, anstatt dagegen anzukämpfen. Mein Glas ist eben immer halb voll statt halb leer.

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