Meine neue Heimat
Die Serie „Meine neue Heimat“, entstanden aus dem Prozess „Zusammenleben in Braunau“, stellt Menschen aus verschiedensten Ländern vor, die in Braunau eine neue Heimat gefunden haben. Die Beiträge stammen von Mag. Elma Pandžić.
Das Leben wird uns geschenkt, der Rest ist harte Arbeit
Dr. Elbisa Schmidt, 39, Fachärztin für Innere Medizin, aus Bosnien und Herzegowina, in Österreich seit 1992
Albert Einstein pflegte zu sagen, dass Persönlichkeiten nicht durch schöne Reden geformt werden, sondern durch Arbeit. Damit meinte er wohl meinen Vater. Dieser war ein stolzer und recht konsequenter Mann. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, gab es nichts, das ihn umstimmen konnte. So beschloss er, auf all die Förderungen, die es Anfang der 1990er Jahre für Flüchtlinge gab, zu verzichten und uns auf seine Art und Weise eine Zukunft in Österreich zu ermöglichen, und zwar durch harte Arbeit. Diese Einstellung färbte auf mich ab und hat mir im Leben in vielerlei Hinsicht geholfen.
Ich wuchs in Banja Luka auf, der zweitgrößten Stadt Bosniens und Herzegowinas. Meiner Schwester und mir fehlte es an nichts, dank unserer Eltern, die beide eine gute Ausbildung abgeschlossen hatten. Mein Vater war Universitätsprofessor für Verfahrenstechnik und Direktor der größten Zellstofffabrik im damaligen Jugoslawien, meine Mutter studierte Bauzeichnerin. Im Grunde lebten wir ein Leben wie die meisten Familien, bis zu jenem Tag, als mein Vater geschäftlich verreisen musste. Er war unter anderem in einem schwedischen Unternehmen mit Sitz in Österreich tätig und pendelte regelmäßig zwischen Österreich und Bosnien hin und her. Diesmal kam er nicht zurück. Er verließ das Land, ohne zu wissen, dass im April 1992 der Bosnienkrieg ausbrechen würde. Die Straßen waren gesperrt und so wurde die Geschäftsreise, die drei Wochen hätte dauern sollen, zur Sackgasse. Er konnte nicht zurück und wir konnten das Land nicht verlassen. Im gleichen Sommer schaffte es meine damals 18-jährige Schwester mithilfe eines Schüleraustauschprogramms über die Grenze. Im Dezember 1992 verließen meine Mutter und ich mit einem Konvoi des Roten Kreuzes unser Heimatland. Als 12-Jährige erlebt man all das sehr bewusst, und die Tatsache, dass ich nicht wusste, ob ich je zurückkehren würde, machte mir Angst. Angekommen in Wien hatte ich wenig Zeit, meiner Heimat nachzutrauern, denn bereits am zweiten Tag nahm mein Vater mich an der Hand und ging mit mir ins Gymnasium. Mit mir, dem Flüchtlingskind, das keinen Brocken Deutsch sprach. Von insgesamt vier Klassen der zweiten Schulstufe wurde ich in jene eingeschrieben, in der ich die einzige mit Migrationshintergrund war. Mein Vater kommentierte das auf seine gewohnte Art: „Elbisa, das passt so, sonst lernst du nie Deutsch“ und damit war ich offiziell außerordentliche Schülerin und Teil einer Klasse, in der ich mich wirklich außerordentlich fühlte, aber eher im negativen Sinn. In etwa wie ein bunter Fleck auf weißem Papier. Nach einem Jahr hatte ich es geschafft, als ordentliche Schülerin anerkannt zu werden. Zum einem, weil ich ehrgeizig war, zum anderen aufgrund der vielen Deutschkurse, die mein Vater für mich und meine Schwester finanziert hat. Ich schloss damals auch die ersten Freundschaften, von denen jene mit meiner Schulfreundin Manuela bis zum heutigen Tag andauert. Ich bin dankbar für all die Momente, die ich mit ihr und im Kreise ihrer Familie erleben durfte. Sie haben dazu beitragen, dass ich mich in dieser Zeit zugehörig fühlte.
Nach der Matura ist vor dem Medizinstudium, zumindest bei mir war das der Fall. Ärztin zu werden war schon immer mein Traum gewesen. Meine Eltern hingegen fanden diesen Traum fern der Realität. Sie meinten, es wäre kein familienfreundlicher Beruf und das Studium mit seinen zwölf Semestern zu lang. Nichtsdestotrotz setzte ich mich durch und habe diesen Entschluss bis heute nicht bereut. Das Studium habe ich mir durch Nebenjobs finanziert. Unter anderem arbeitete ich als Demonstratorin am anatomischen Institut und brachte jüngeren Studenten das Sezieren bei. Ein Jahr vor meinem Uni-Abschluss kam unser Leben jedoch abrupt zum Stillstand. Mein Vater starb mit nur 58 Jahren an einem Herzinfarkt. Obwohl meine Mutter durch seinen Beruf gewohnt war allein zu sein, war dieser Zustand etwas vollkommen anderes und eine große Herausforderung für uns alle. Wenn er uns jedoch etwas vererbt hatte, dann war das sein Kampfgeist, und so ging das Leben weiter, auch wenn es schwierig war. Nach dem Abschluss machte ich ein Praktikum bei einem Internisten in Wien und zog nach Oberösterreich. Meinen Mann, Gilbert Schmidt, lernte ich während des Studiums kennen und als wir fertig waren, fassten wir den Entschluss, in seine Heimatstadt Braunau zu ziehen. Im Krankenhaus Braunau habe ich die Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin und zur Fachärztin für Innere Medizin absolviert. Im Jahr 2015 eröffneten mein Kollege Oliver John und ich eine eigene Praxis, weil diese für uns beide mehr Freiheit, Flexibilität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutete. Die Zusammenarbeit klappt wunderbar und ich bin froh, den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt zu haben.
In Österreich habe ich mir viele meiner Wünsche erfüllt. Ich habe zwei wunderbare Kinder, einen tollen Ehemann, einen Beruf, den ich liebe, und ich lebe in einem sicheren Land, das ich Heimat nenne. Ich bin dankbar für all diese Dinge, die ein großes Geschenk darstellen.