Lebe, liebe und lache jeden Tag

Meine neue Heimat

Die Serie „Meine neue Heimat“, entstanden aus dem Prozess „Zusammenleben in Braunau“, stellt Menschen vor, die aus verschiedensten LĂ€ndern nach Braunau am Inn gekommen sind und in unserer Stadt eine neue Heimat gefunden haben. Die BeitrĂ€ge zu dieser Serie stammen von Mag. Elma PandĆŸić.

Lebe, liebe und lache jeden Tag

Mensura Seljubac (58), Sozialfachbetreuerin, in Österreich seit 1992

Manchmal sitze ich in meinem Garten, umgeben von meinen Enkelkindern, und merke wie meine Gedanken abschweifen und ich Sorgenfalten bekomme. Ich frage mich dann, wie es diesen fröhlichen Kindern so voller Lebensmut wohl in ein paar Jahren ergehen wird? Ich hoffe jedenfalls, dass sie nie dasselbe Schicksal ereilt, wie viele Bosnier im Jahr 1992. Die aktuellen Ereignisse in Österreich stimmen mich jedoch besorgt und traurig.
Ich wurde in Kozluk bei Zvornik als eines von sechs Kindern geboren. Meine Geschwister sind heute auf der ganzen Welt verstreut, und manche von ihnen sehe ich nur sehr selten. Das „verdanken“ wir einem Krieg, der nichts als Leid ĂŒber ein Land gebracht hat, dem es so viele Jahre danach immer noch nicht gut geht.
Im April 1992 flĂŒchteten wir mit zwei Kindern und meiner Schwiegermutter. Wir kamen am Bahnhof in Salzburg an und wurden von der Polizei abgeholt. Diese brachte uns in eine ehemalige MilitĂ€rkaserne, wo wir drei Monate lang mit rund 200 Menschen auf engstem Raum verbrachten. Allein die Vorstellung an diese Zeit lĂ€sst mich dankbar sein fĂŒr all das, was ich heute besitze. Danach lebten wir drei Jahre lang in einer Sporthalle im Pfarrhof in St. Johann am Walde. Besonders erinnere ich mich aus dieser Zeit an Friedrich Schossleitner. Er war Pfarrer und ein wunderbarer und hilfsbereiter Mensch, genauso wie die anderen Ortsbewohner, die uns freundlich aufgenommen haben. Wenn ich die AtmosphĂ€re damals und heute vergleiche, könnten die Unterschiede kaum grĂ¶ĂŸer sein. NatĂŒrlich gab es auch damals Menschen, die uns FlĂŒchtlinge nicht gerne sahen, doch der ĂŒberwiegende Teil der Bevölkerung unterstĂŒtzte uns, wo es nur ging. Gerade das hat dafĂŒr gesorgt, dass wir uns schnell zugehörig fĂŒhlten.
Nach einiger Zeit bekam mein Mann, diplomierter Maschinenbauingenieur, eine Arbeitserlaubnis und eine Stelle als Hauswart am Golfplatz. Die Kinder gingen zur Schule und erlernten die Sprache schnell. Dies erleichterte uns das Leben sehr, und so zogen wir bald nach Neukirchen, wo wir sieben Jahre lang lebten. In dieser Zeit bekam ich eine Stelle als Pflegehelferin im Sozialhilfeverband Ostermiething und arbeitete im Altenheim. Im Jahr 2001 begann ich die Lehre zur Sozialfachbetreuerin, die ich mit Erfolg abschloss. In Bosnien hatte ich vor dem Krieg, als Absolventin der Handelsfachschule, zehn Jahre lang im BĂŒro gearbeitet – meine jetzige Arbeit wĂŒrde ich nie mit der damaligen tauschen. Von den vielen Unterlagen und Dokumenten hat man nichts, außer vielleicht einem rauchenden Kopf, von einem Menschen aber bekommt man umso mehr zurĂŒck. Ich arbeite mit Ă€lteren Leuten, die viel Lebenserfahrung besitzen und diese gerne mit mir teilen. Sie freuen sich, mich zu sehen und sind traurig, wenn ich auf Urlaub fahre. Dieses GefĂŒhl, gebraucht und geschĂ€tzt zu werden, macht mich glĂŒcklich. Mittlerweile arbeite ich seit insgesamt 23 Jahren beim Sozialhilfeverband, davon seit zehn Jahren in Braunau, und bin nach wie vor zufrieden mit meiner TĂ€tigkeit. In all den Jahren haben wir gemeinsam viel erreicht. Mein Mann hat es dank etlicher Fortbildungen geschafft, nun als QualitĂ€tsmanager zu arbeiten. Beide Kinder haben studiert, mein Sohn Informatik, meine Tochter SozialpĂ€dagogik, und Familien gegrĂŒndet. All das macht mich stolz, weil ich weiß, wie viele HĂŒrden wir bis hierhin nehmen mussten. Ich bin eine Frohnatur und es gibt nur Weniges, das mich aus der Balance wirft. Dazu gehört Ungerechtigkeit jeglicher Art, und davon gibt es derzeit mehr als genug auf der Welt. Dazu zĂ€hlt auch diese abstoßende Rhetorik von „wir“ und „die anderen“, aus dem Mund von Menschen, die im Frieden aufgewachsen sind, wĂ€hrend wir die bitteren Pillen des Krieges schlucken mussten. Ich frage mich, ob den Menschen bewusst ist, mit welchem Feuer sie spielen und wozu Ausgrenzung fĂŒhrt?
Trotz alle dem versuche ich, mir meinen kleinen Kosmos so friedlich wie möglich zu bewahren. Wir mussten zu viel durchmachen, um zuzulassen, dass der Pessimismus Überhand gewinnt. Das Leben ist so schön, nur sehen wir es oft nicht, weil wir uns auf die schlechten Dinge fokussieren. Dabei hat doch jeder von uns sein PĂ€ckchen zu tragen. Meines hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin: eine stolze und selbstbewusste Ehefrau, Mutter und Großmutter, eine leidenschaftliche Sozialfachbetreuerin, eine Frau mit einem eisernen Glauben an Gott und an das Gute im Menschen und eine Bosnierin, die dankbar ist, in einem Land wie Österreich leben zu dĂŒrfen.

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