Sei stärker als deine stärkste Ausrede
Adem Ucan, 33, Unternehmer, aus Konya, Türkei, in Österreich seit 1999
Man wird nicht von heute auf morgen zum Unternehmer. Das beginnt in frühen Jahren, mit dem richtigen Mindset. Ich hatte drei gute Vorbilder in meinem Leben. Meine zwei Großväter und meinen Vater, die allesamt tüchtige Kaufleute und Arbeiter waren. Es verwundert also nicht, dass der türkische Lieblingsspruch meines Vaters lautet: „Wenn du schon ertrinkst, dann im großen Meer.“ Er motivierte mich von klein auf dazu, mir große Ziele zu setzen und diese zu verfolgen, komme, was wolle. Er wusste aus eigener Erfahrung, dass es im Universum so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz gibt: Die besten Dinge im Leben haben die größten Sorgen im Gepäck. Erfolg geht immer Hand in Hand mit Risikobereitschaft, Problemen und Ängsten, doch was ist das Leben wert, wenn wir nicht unser ganzes Potential ausschöpfen?
Ich bin in Konya, der siebtgrößten Stadt der Türkei, geboren. Mein Vater ist 1991 als Gastarbeiter nach Österreich ausgewandert. Es hat Jahre gedauert, bis er eine Arbeitserlaubnis bekommen hat und sich etwas aufbauen konnte. In dieser Zeit habe ich in Konya die Volksschule besucht. Weil ich der einzige Mann im Haus war, lernte ich früh, selbstständig zu sein und die Familienkasse aufzubessern. Neben der Schule arbeitete ich unter anderem als Wasserverkäufer am Basar, in einem Fahrradgeschäft, half in Tante-Emma-Läden aus und verkaufte vor der Schule Simit (Türkische Sesamringe). Diese Erfahrungen prägten meine Einstellung zur Selbstständigkeit. Ich war mir für nichts zu schade und das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Während meine Freunde ihre Kindheit in vollen Zügen genießen konnten und als Teenager auf Partys gegangen sind, habe ich meinen Alltag an meine Arbeit angepasst.
Im Jahr 1999 sind meine Mutter und ich aufgrund einer Familienzusammenführung nach Österreich gezogen. Wir sind damals in Burgkirchen gelandet. Zum Glück, muss ich im Nachhinein sagen. Ich hatte zwei wunderbare Lehrerinnen, die sich um mich als einziges Kind mit Migrationshintergrund, sehr bemüht haben. Ich konnte kein Wort Deutsch und dank ihres unermüdlichen Engagements, holte ich schnell auf. Danach sind wir nach Braunau gezogen, wo ich die Handelsschule besucht und zusätzlich eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann abgeschlossen habe. In diesem Beruf habe ich neun Jahre lang gearbeitet, hatte daneben jedoch noch zwei weitere Jobs. Am Vormittag standen Versicherungen am Plan, am Nachmittag habe ich Fahrzeuge begutachtet und angekauft, am Abend und an den Wochenenden bin ich Taxi gefahren. Achtzehn-Stunden-Tage waren die Regel, keine Ausnahme. Zum Autoverkauf kam ich über meinen Job als Versicherungsmakler. Mich interessierte, was mit den Autos passiert, die abgemeldet wurden. Ich entwickelte daher schnell eine Leidenschaft für diesen Beruf und eröffnete 2014 den Autopark in Laab. Danach ergab sich die Möglichkeit, das alte Hotel Andrä zu kaufen. Als ich meinem Bankberater von meinen Visionen erzählte, war er begeistert, denn so etwas wie das Parkhotel gab es damals noch nicht in Braunau und so startete ich los im Jahr 2020. Ein Start inmitten einer Wirtschaftskrise, Pandemie und Lieferverzögerungen. Es war daher die schlimmste Zeit meines Lebens. Von unzuverlässigen Unternehmen aus der Baubranche, über ein enormes Zeitpensum (der Ausbau dauerte am Ende ein Jahr länger als geplant), bis hin zur Tatsache, dass ich nebenbei eine Hotellerie-Ausbildung zu absolvieren hatte. Ohne meine Familie, insbesondere meine Brüder und meinen Vater, hätte ich das nicht geschafft. Sami kümmert sich um die Auto-Werkstatt, Samed um Bürotätigkeiten, mein Vater um An- und Verkauf und Omer ums Hotelmanagement. Am Abend besprechen wir den kommenden Tag. Jeder kennt seinen Aufgabenbereich, und darum sind wir ein eingespieltes Team. So kam es 2022 zur lang ersehnten Eröffnung. Hätte man den Stein, der mir an diesem Tag vom Herzen gefallen ist, gehört – den Sound hätte man sich garantiert gemerkt. Seit der Eröffnung sind wir fast durchgehend ausgebucht. Unsere Klientel reicht von Arbeitern bis hin zu Familien, Pensionisten und Managern. Wir können große Gruppen empfangen, bieten einen eigenen Fitness- und Seminarraum an und zeichnen uns durch ein elegantes Design aus, das übrigens aus meiner Feder stammt. Ich habe weder für den Autopark, noch für das Hotel Innenarchitekten engagiert, sondern alles selbst geplant und organisiert. Ästhetik ist mir wichtig, und das schlägt sich in meiner Arbeit nieder.
Im Grunde habe ich vieles von dem, was ich mir vorgenommen habe, bereits erreicht. Nichtsdestotrotz halte ich stets die Augen offen, wenn es um interessante Projekte geht. Aktuell absolviere ich ein Fernstudium (Master of Business Administration) und bin gespannt, was die Zukunft so für mich bereithält. Ich werde oft gefragt, ob ich Angst vor ihr habe und was ich zum neuen Klima im Land sage. Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich habe keine Angst vor der Zukunft, denn es kommt ohnehin, wie es kommen soll. Ich sage immer – Heimat ist da, wo du satt bist, nicht da, wo du geboren bist, und das ist für mich in Österreich der Fall. Ich bin dankbar, dass ich hier in Frieden leben und arbeiten darf, und schätze diese Stadt, weil ich hier aufgewachsen bin, es ruhig mag und wir sehr zentral gelegen sind. In bin dankbar, dass ich als Unternehmer viele Freiheiten habe und mir meine Zeit flexibel einteilen kann. Das ist ein Luxus, den ich gerne mit viel Arbeit kompensiere. Natürlich habe auch ich Ablehnung erfahren. Rassismus ist ein Phänomen, mit dem man als Mensch mit Migrationshintergrund in diesem Land zwangsläufig in Kontakt kommt, gerade wenn man erfolgreich ist. Soll ich deswegen alle Österreicher:innen in einen Korb stecken? Ich bin ja auch froh, dass meine österreichischen Freunde das nicht mit uns Türken machen. Integration ist ein Geben und Nehmen, insbesondere ein Geben von Chancen. Es ist jedem selbst überlassen, ob man sie nützt oder nicht, doch eines weiß ich mittlerweile – es lohnt sich, stärker zu sein, als deine stärkste Ausrede.