Meine neue Heimat
Die Serie „Meine neue Heimat“, entstanden aus dem Prozess „Zusammenleben in Braunau“, stellt Menschen vor, die aus verschiedensten Ländern nach Braunau am Inn gekommen sind und in unserer Stadt eine neue Heimat gefunden haben. Die Beiträge zu dieser Serie stammen von Mag. Elma Pandžić.
Der Edle verneigt sich, aber beugt sich nicht
Dragan Simić (41), aus Ex-Jugoslawien, gewerberechtlicher Geschäftsführer in der Baubranche, Obmann des Vereins Koryo Tigers Braunau, in Österreich seit 1993
Eigentlich könnte das Leben so schön sein. Man erblickt das Licht der Welt, wächst in einer behüteten Umgebung auf, lebt ein schönes Leben in der geliebten Heimat – und das alles, bis dass der Tod einen davon scheidet. So weit, so gut. Für viele Menschen aus Ex-Jugoslawien existiert diese Idealvorstellung vom Leben nicht, weil die meisten von uns zu früh entwurzelt wurden. Auch ich hatte nie wirklich eine Heimat, weil ich als Kind und Jugendlicher mehrmals umziehen musste. Ich wurde 1977 in Karlovac, Kroatien, als Sohn einer slowenischen Mutter und eines serbischen Vaters geboren. Wegen des Krieges sind wir zunächst nach Slowenien gezogen. Bald sind unsere Dokumente abgelaufen, und wir waren gezwungen, weiter zu ziehen. Im August 1993 betraten wir österreichischen Boden, und ich lernte sehr schnell, dass dieser alles andere als weich war. Abgesehen von den nicht vorhandenen Deutschkenntnissen wurden Zuwanderer auch damals kritisch beäugt, und ich musste mich dadurch vielen unangenehmen Situationen stellen. Nichtsdestotrotz gab ich mein Bestes, um mir eine Zukunft aufzubauen, und absolvierte in Ostermiething den Polytechnischen Lehrgang. Schließlich entschloss ich mich dazu, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten, der vor dem Krieg in Kroatien einen gut laufenden Installateurbetrieb hatte. Ich habe bei Häusler in Ostermiething eine Ausbildung zum Gas-, Wasser-, Heizungsinstallateur gemacht und 2005 die Meisterprüfung abgelegt. Danach folgte jeder nur erdenkliche Kurs im Bereich Qualitätsmanagement, weil Bildung im Allgemeinen ein Thema ist, das mir am Herzen liegt. Heute bin ich gewerberechtlicher Geschäftsführer in einem Bauunternehmen und damit recht zufrieden. Mein Job ist abwechslungsreich, ich lerne stets etwas Neues dazu und treffe viele Menschen.
Den Ausgleich zu alledem schaffe ich mit meiner großen Leidenschaft, dem Taekwondo. Dabei handelt es sich um eine koreanische Kampfkunst, die ich seit meiner Kindheit in Kroatien betreibe. Durch einen Wink des Schicksals wurde ich auch in Österreich in diese Bahn gelenkt. Angekommen im fremden Land kaufte mir mein Vater ein Fahrrad. Einziges Manko: es hatte kein funktionierendes Licht. Einem coolen Teenager wie mir machte das natürlich nichts aus, und so fuhr ich kreuz und quer, bis ich eines Nachts mit einem anderen Radfahrer in voller Wucht zusammenprallte. Dabei machte der Mann einen Salto und fing sich wieder, ein bisschen wie in einem Actionfilm. An seiner Reaktion und der Trainingstasche erkannte ich, dass er Taekwondo-Trainer war. Wir kamen ins Gespräch, und bald schon fand ich mich in meiner ersten Taekwondo-Stunde hierzulande wieder. Leider war damals ein ganzes Komitee aus der Polizeidirektion Salzburg mit von der Partie und das Training endete für mich mit vielen blauen Flecken. Alle hatten angenommen, ich sei erfahrener, und mich dementsprechend behandelt. Doch niemand hatte damit gerechnet, dass ich nur wenige Tage danach, wenn auch humpelnd, wieder auf der Matte stehen würde. Mein Trainer sah mich an und sagte mir, dass ich mit dieser Einstellung irgendwann ein Meister werden würde. Heute, Jahre danach, bin ich Meister (4 DAN) und Trainer in meinem eigenen Verein in Braunau. Seit 2010 kümmere ich mich um den Nachwuchs, weil ich der lebende Beweis dafür bin, wie stark diese Kampfkunst einen prägt. Mich hat sie davor bewahrt, auf die falsche Bahn zu geraten und mich von meinen Zielen ablenken zu lassen. Eine Weisheit von Konfuzius besagt, dass sich der Edle verneigt, aber nicht beugt. Taekwondo lehrt uns Respekt und Vertrauen, was sich auch im obligatorischen Verneigen zu Beginn des Trainings zeigt. Zugleich lehrt es uns Disziplin, Schnelligkeit, Ausdauer, Konzentration und Selbstbewusstsein. Wir verneigen uns vor den anderen aus Wertschätzung, beugen uns jedoch nicht ihrem Willen.
Ich werde immer wieder gefragt, wie ich es schaffe, so ausgeglichen zu sein. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie schön es wäre, wenn mein Sohn und meine Tochter in einer Welt aufwachsen könnten, die friedlich ist, in der Menschen mit Migrationshintergrund nicht alle über einen Kamm geschoren, sondern für ihre Bemühungen belohnt werden, und in der keine religiösen, nationalen und kulturellen Unterschiede künstlich erzeugt werden. Wenn ich die Augen wieder aufmache und sehe, dass die Realität anders aussieht, flüchte ich mich in jenen Sport, der mein Leben immer in Balance gehalten hat.