Finde deinen Rahmen

Meine neue Heimat

Diese Serie stellt Menschen vor, die in Braunau eine neue Heimat gefunden haben. Die Beiträge stammen von Mag. Elma Pandžić.

Finde deinen Rahmen.

Carmen Stoichitescu (35), Beraterin für Arbeitsuchende, aus Rumänien, in Österreich seit 2010

Man sagt, es gibt Menschen, die sich in ihrem Zuhause, an dem Ort, an dem sie geboren wurden, nicht wohlfühlen. Menschen, die das Gefühl haben, sie wären ein Puzzle ohne Rahmen. Genau so ging es mir lange Zeit. Heute habe ich meinen Rahmen gefunden und endlich das Gefühl, die fehlenden Teile mit Leichtigkeit einsetzen zu können.
Ich wurde in Südrumänien, in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern, geboren. In Timișoara, der drittgrößten Stadt Rumäniens, habe ich Soziologie studiert – aus Überzeugung. Ich wollte etwas verändern, etwas für die Menschen vor Ort tun. Als ich jedoch den Abschluss in der Tasche hatte, fiel ich in ein tiefes Loch. Die Perspektivlosigkeit, die Korruption und all die anderen Faktoren, die meinen Träumen einen Riegel vorschoben, sorgten dafür, dass ich große Zukunftsängste hatte und nicht so recht wusste, wohin mit mir. In Rumänien hatte ich mich zwar nie wirklich zuhause gefühlt, doch gleichzeitig kannte ich nichts anderes als das. Was wäre denn die Alternative gewesen? Richtig! Einfach die Sachen packen und verschwinden, und genau das taten wir auch. Am 26. März 2010 packten mein damaliger Freund (und jetziger Ehemann) und ich unsere sieben, pardon, drei Sachen. Im Grunde waren es nur ein Computer, ein Rucksack und unser Auto. Mehr hatten wir nicht, und so fuhren wir zu meiner Mutter und meinem Stiefvater nach Österreich.
Meine Mutter hat in Rumänien jahrelang erfolgreich ein Teppichgeschäft geführt. Als meine Schwester es übernahm, zog meine Mutter der Liebe wegen nach Österreich. Irgendwann ist auch meine Schwester ausgewandert, und ich war schließlich alleine. Lange Zeit machte ich keine Anstalten, ihnen nachzureisen. Ich jammerte, dass die deutsche Sprache nichts für mich ist und mich das Land nicht interessiert. Als ich plötzlich bei meiner Mutter auf der Matte stand, war sie sprachlos. Da war ich nun und lag ihr in den Armen. Inmitten von Pudexing, einem Ort, den Google verzweifelt suchen muss und den selbst so mancher eingefleischte Innviertler nicht kennt.
An dieser Stelle endet auch schon die große Wiedersehens-Romantik, denn gleich darauf hieß es „Ärmel hochkrempeln und nach vorne blicken“. Mein Mann hat in Rumänien Internationale Beziehungen und europäische Studien studiert, ich Soziologie. Das brachte ihn für acht Monate auf die Baustelle und mich über ein Jahr lang zum Job als Zimmermädchen in einem Hotel in Aspach. All die Uni-Jahre waren zunächst vergebens. Putzen und Deutsch lernen gehörten somit zu meinem Alltag. Darum verbannte ich alle rumänischsprachigen Bücher, DVDs und CDs aus meinem Zimmer und deckte mich in einem Buchladen mit allen möglichen deutschsprachigen Alternativen ein. Wenn schon, denn schon, dachte ich mir. Das passt zu meinem Charakter. Wenn ich etwas angehe, dann mache ich keine halben Sachen. Ich gab mir viel Mühe, und trotzdem gab es Verständigungsschwierigkeiten und Missverständnisse, über die ich heute nur lachen kann. In dieser Anfangsphase hatte ich oft Zweifel, ob das der richtige Weg war, doch die Menschen in Pudexing waren unheimlich freundlich und zuvorkommend.
Nach der Arbeit in der Hotellerie arbeitete ich knapp ein Jahr lang in der Produktion und entschloss mich dazu, hierzubleiben. Mein Mann fand nach der Arbeit auf der Baustelle eine Anstellung bei B&R Industrial Automation als Schichtleiter und ist auch heute noch sehr glücklich mit seinem Job. Wir machten Nägel mit Köpfen: kauften ein Grundstück, bauten ein Haus und bekamen unser erstes Kind. Im November 2015 wurde ich von meinem heutigen Arbeitgeber über eine Stelle im Jugendwohnhaus Braunau informiert. Dort arbeitete ich zwei Jahre lang als Betreuerin für minderjährige Asylwerber. Weil das Haus geschlossen wurde, bekam ich eine Stelle in Mattighofen, wo ich mit erwachsenen Asylwerbern arbeitete. Danach ging es wieder zurück nach Braunau. Bis 2020 war ich bei der Volkshilfe Flüchtlings- und MigratInnenbetreuung beschäftigt und bin so dankbar, dass ich hier die Chance bekam, in jenem Bereich zu arbeiten, für den ich ursprünglich ausgebildet wurde. Mit vielen der Jugendlichen, die ich damals betreute, habe ich auch heute noch Kontakt, und das bestätigt mich darin, dass meine Arbeit sinnvoll ist. Im März 2020 wechselte ich zum IAB (Institut für Ausbildungs- und Beschäftigungsberatung) und begleite nun Menschen bei der Reintegration in den Arbeitsmarkt. Ich unterstütze sie dabei, ihr Potenzial zu erkennen und den passenden Job für ihre Bedürfnisse zu finden. Ich bin mit meiner Arbeit sehr zufrieden und kann meine Talente und mein Wissen gut einsetzen.
Mein Wunsch für die Zukunft ist es, hier in Österreich im Sozialbereich ein Masterstudium zu absolvieren. Ansonsten bin ich wunschlos glücklich. Ich habe zwar in Rumänien ein Haus, aber hier bin ich „dahoam“ und kann allen „Neulingen“ in diesem Land nur den Tipp geben: Lernt die Sprache, denn damit stehen euch alle Türen offen. Ein eiserner Wille ist für mich ein wichtiger Bestandteil der Integration, denn: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

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