Geht nicht gibt’s nicht!

Meine neue Heimat

Diese Serie stellt Menschen vor, die in Braunau eine neue Heimat gefunden haben. Die Beiträge stammen von Mag. Elma Pandžić.

Geht nicht gibt’s nicht!

Semira Nuhanović, 50, Heilmasseurin, aus Bosnien und Herzegowina, in Österreich seit 1990

Eine Fahrt mit der Seilbahn in schwindelerregender Höhe, eine spannende Skitour bei schönstem Bergpanorama, Nachtwanderungen, Langlaufen, um den Kopf frei zu bekommen. All das und noch viel mehr konnte ich… aus der Ferne betrachten. Ich blickte herab auf meinen Koffer mit den notwendigsten Habseligkeiten und konnte immer noch nicht fassen, dass ich in einem anderen Land angekommen war.
Ich, mit meinen 18 Jahren, war in Schladming gelandet. Selbst die malerischste Kulisse der Welt konnte nicht über die Hürden hinwegtäuschen, die vor mir lagen. Ich war unvorbereitet auf ein Leben außerhalb Bosniens, weit weg von meiner Familie und meinen vier Geschwistern. Ich wusste, wie man sich begrüßt und wie das Besteck auf Deutsch heißt. Das war’s auch schon. Ich hatte keine Ahnung, wo ich beginnen sollte, also fing ich einfach an zu arbeiten. Monatelang verdiente ich mir meine Brötchen im Tourismus als Haushaltsgehilfin. Danach eine Zeit lang im Café Perner, in welchem ich neben einem Job auch Lebenserfahrung fand. Das Team war besonders hilfsbereit und half mir, mein Deutsch zu verbessern, zumal ich nur österreichische Freunde und Arbeitskollegen hatte. Ich konnte mich also nicht in die bosnische Sprache flüchten. Ich lernte in dieser Zeit viel über die österreichische Mentalität, den Umgang mit Menschen und über Ordnung, Sauberkeit und Disziplin. Jedoch hinterließ die Saisonarbeit bald ihre Spuren. Die Arbeit war hart. Ich war von früh bis spät auf den Beinen, hatte so gut wie keine Freizeit und wenig Privatleben. Ich wollte mehr, wollte Zeit, um mir etwas aufzubauen und mich weiterzubilden. Im Tourismus war dafür kein Platz. Daher entschloss ich mich dazu, nach sechs Jahren in der Steiermark nach Oberösterreich zu ziehen. Mit meinem steirischen Dialekt im Gepäck verschlug es mich nach Mattighofen. Ich fing eine Ausbildung zur Kosmetikerin, Masseurin und Fußpflegerin in Linz an. Bald darauf heiratete ich und bekam zwei Kinder. Lange Zeit konnte ich wegen der Betreuung der Kinder nicht in meinem Beruf arbeiten. Ganze 16 Jahre vergingen, in denen ich in einer Firma für Plastikherstellung arbeitete. Von Selbstverwirklichung keine Spur.
Nach der Scheidung ist vor der Veränderung. Es war Zeit, mich wieder mir selbst zu widmen. Darum machte ich mich selbstständig. Ich kaufte ein Haus, absolvierte die Meisterprüfung, die Unternehmerprüfung, etliche Praktika, arbeitete nebenbei und kümmerte mich um die Kinder. Manchmal konnte ich bei all dem Trubel und Alltagsstress Tag und Nacht nicht voneinander unterscheiden, aber ich wusste, warum ich all das tat. Ich hatte schon immer ein großes Interesse an Medizin und an den verschiedenen Methoden, die dem menschlichen Körper zur Heilung verhelfen. Kosmetik fand ich zwar interessant, aber es stellte sich bald heraus, dass mich ein anderer Bereich mehr reizte. Heilmasseurin war zu 100 Prozent der Beruf, in dem ich arbeiten wollte. Weshalb? Weil ich bei meiner Arbeit Resultate sehe. Weil es eine dankbare Arbeit mit dankbaren Patienten ist. Was gibt es Schöneres, als einen anderen Menschen von Schmerzen zu befreien? In Corona-Zeiten ist es nicht einfach, selbstständig zu sein, doch ich habe das Glück, dass ich zumindest meine Patienten weiterbetreuen kann und mein Einkommen dadurch gesichert ist. Darum beschäftige ich mich nicht mit negativen Gedanken. Wir Bosnier sind hart im Nehmen, denn wir wissen, wie es im Krieg ist. Daher versuchen wir Herausforderungen gelassen entgegenzusehen und jedem Hindernis mit viel Optimismus und einer gesunden Portion Humor zu begegnen. Das hat uns schon oft in schweren Zeiten geholfen. Das Leben ist eben kein Zuckerschlecken, es erfordert Einsatz und Geduld. Doch gerade dieser Kampf für Selbstverwirklichung ist es, der dazu führt, dass wir die Dinge, die uns am Ende des Weges erwarten, auch zu schätzen wissen.
In Bosnien hatte ich als Frau schlechte Perspektiven. In der damaligen Zeit gab es nur wenige Familien, die Wert auf Bildung legten und es sich leisten konnten, die Kinder zur Schule zu schicken. Dies galt insbesondere für kinderreiche Familien. Wir lernten also früh, dass wir als Geschwister zwar eine Gemeinschaft sind, aber zugleich jeder für sein Schicksal selbst verantwortlich ist. Unsere Eltern konnten nicht jedem von uns so viel Aufmerksamkeit schenken und uns alle Wünsche erfüllen. Davon hatten wir als Kinder ja genug. So hat am Ende jeder von uns seinen Weg gefunden, aufgeteilt auf mehrere Länder. Ich habe meine Heimat in Österreich entdeckt, denn hier konnte ich einfach „ich“ sein. Abgesehen davon schätze ich dieses Land wegen seiner Natur. Ich liebe das Skifahren, die Berge und die gute Bergluft. Ich fühle mich sicher in einem Land mit funktionierendem Gesundheitssystem. Alles hat seine Ordnung, auf die man sich verlassen kann. Für diesen „Luxus“ lohnt es sich, morgens aufzustehen, die Ärmel hochzukrempeln und sich die Frage zu stellen: „Wem kann ich heute zu einer gesunden Schulter und einem besseren Lebensgefühl verhelfen?“

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