Meine neue Heimat
Die Serie „Meine neue Heimat“, entstanden aus dem Prozess „Zusammenleben in Braunau“, stellt Menschen vor, die aus verschiedensten Ländern nach Braunau am Inn gekommen sind und in unserer Stadt eine neue Heimat gefunden haben. Die Beiträge zu dieser Serie stammen von Mag. Elma Pandžić.
Programmiere dein Leben selbst
Fereydoun Sedighi (30), Softwareentwickler, aus Afghanistan, in Österreich seit 2002
Wenn ich erwähne, was ich beruflich mache, reiht sich in den Köpfen der Menschen ein Klischee an das andere. Programmierer seien unsoziale Freaks, die dunkle, stickige Arbeitszimmer bevorzugen und den lieben langen Tag an ungesunden Softdrinks nippen. Das meiste davon trifft nicht zu, bis auf die Tatsache, dass wir in einer gewissen Weise durchaus „speziell“ sind. Wir hauchen leeren Hüllen Leben ein und schenken Maschinen eine Seele. Wir erschaffen etwas, das in der Praxis Anwendung findet. Das macht uns dann doch irgendwie zu Freaks mit einem Funken Wahnsinn. Das passt gut zu mir, da meine Lebensgeschichte auch nicht ganz alltäglich ist. Ich erzähle sie oft, denn immer wenn Einheimische auf erfolgreiche Menschen mit Migrationshintergrund treffen, wollen sie wissen, wie sie es geschafft haben. Ein bisschen kommen wir uns dann wie Paradiesvögel vor, obwohl es genügend Exemplare von uns gibt. Die Medien sind voll von Negativbeispielen, und einige Volksgruppen, wie wir Afghanen, erscheinen darin in keinem guten Licht. Ich berichte also, um den Braunauern und Braunauerinnen zu zeigen, dass es durchaus anders geht.
Geboren wurde ich in einer Stadt in der Nähe von Kabul als eines von vier Kindern. Aufgrund des Krieges sind wir 2002 geflüchtet. Ich weiß nicht, welche Vorstellung Menschen hierzulande von Flucht haben, aber die Realität ist alles andere als rosig und stets mit schlechten Erinnerungen und Ängsten verbunden. Wer verlässt schon seine gewohnte Umgebung, Freunde und Familie aus Jux und Tollerei? Wir hatten damals kein Ziel, denn es ging uns in erster Linie darum, unser Leben zu retten. Für meine Eltern war diese Reise ins Ungewisse am schwierigsten, weil sie alles daran gesetzt haben, ihre Kinder zu beschützen. Letzten Endes bin ich froh, dass uns der Weg nach Österreich geführt hat. Ich war 14 Jahre alt, als wir in Geretsberg angekommen sind. Um so schnell wie möglich Fuß zu fassen, besuchte ich die Hauptschule und machte meinen Abschluss. Eine Person, die mir in dieser Phase eine große Hilfe war und die ich sehr schätze, ist Georg Perschl, mein damaliger Hauptschullehrer. Er war sich nie zu schade dafür, vor den Deutsch-Schularbeiten stundenlang mit mir zu üben und mich vorzubereiten. Ohne ihn könnte ich diese Seite sicher nicht mit so vielen Worten füllen. Nach drei Jahren bekamen wir einen positiven Asylbescheid und zogen nach Braunau. Ich besuchte die Polytechnische Schule und daraufhin die Handelsschule. Nach zwei Jahren gab ich auf, weil ich merkte, dass meine technische Ader in dieser Schule zu kurz kam. Immer wieder rieten mir Bekannte, eine Lehre zu beginnen. Ich hatte nichts gegen eine Lehre, aber zugleich überkam mich jedes Mal das Gefühl, unterschätzt zu werden, und ich war nicht allein. Meinen jüngeren Bruder hatten die Mitschüler ausgelacht, weil er so frei war zu behaupten, er wolle Arzt werden, wenn er groß ist. Er hat sich seinen Traum erfüllt, arbeitet nun als Arzt in Deutschland und kann über solche Kindheitserinnerungen nur noch lachen. Auch ich wollte mehr, unabhängig davon, was die Leute von mir erwarteten oder wie oft sie mich ablehnten. So habe ich mich mehrmals in der HTL Braunau beworben. Jedes Mal scheiterte es an meinen Noten, die aufgrund der Deutschkenntnisse nicht die besten waren. Durch einen Wink des Schicksals und meine Hartnäckigkeit bekam ich schlussendlich die Möglichkeit, meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Im Jahr 2010 schloss ich die HTL-Fachschule erfolgreich ab. Ich arbeitete daraufhin als Produkttechniker und Entwickler und unternahm dabei viele Reisen ins Ausland. Dennoch, eines ließ mir keine Ruhe, und zwar die fehlende Matura. Ganz nach dem Prinzip „was nicht passt, wird passend gemacht“ absolvierte ich wenige Jahre später die Abendmatura im Bereich Elektrotechnik. Um die Belastung und das Lerntempo auszuhalten, habe ich mir damals einen Job in Salzburg gesucht. So musste ich, ob es mir in den Kram passte oder nicht, jeden Tag hinfahren. Aufgeben kam für mich nie in Frage, und so muss man sich manchmal im Leben selbst zu seinem Glück zwingen. Diese Zeit war hart, denn neben einem Vollzeitjob und der Schule blieb nur wenig Zeit für meine Frau und meine Tochter, die viele dieser Lebensphasen mit mir durchgestanden haben. Im Laufe der Jahre und dadurch, dass ich in viele Bereiche hineinschnuppern konnte, merkte ich, dass mich das Programmieren besonders reizt. Dieses führte mich zu einer der renommiertesten Hochschulen in diesem Bereich, wo ich meinen Bachelor im Softwareingenieurwesen gemacht habe und nun am Master arbeite.
Wenn ich mir meinen Werdegang so ansehe, dann wünsche ich meiner Tochter dieselbe Ausdauer und dass sie glücklich ist und einen Beruf ausübt, der ihren Talenten entspricht. Ich habe meine Träume verfolgt und es nie bereut, auch wenn so viele Menschen der Ansicht waren, als Flüchtling solle man sich keine allzu hohen Ziele stecken. Oft werde ich gefragt, ob ich Afghanistan vermisse oder wir zurückkehren wollen. Diese Frage stelle ich mir schon lange nicht mehr, weil mir meine einstige Heimat immer fremder wird und auch heute noch kein sicherer Ort ist. Ich bin glücklich in Österreich. Wir leben hier in Sicherheit, können uns weiterbilden und uns eine Existenz aufbauen. Das ist so viel mehr, als sich Menschen in anderen Teilen dieser Welt jemals erhoffen können.