Von nichts kommt nichts: Wie aus Kriegskindern Fachsozialbetreuerinnen werden

Meine neue Heimat

In dieser neuen Serie in den Braunauer Stadtnachrichten möchten wir Menschen vorstellen, die aus verschiedensten Ländern nach Braunau am Inn gekommen sind und hier eine neue Heimat gefunden haben.

Von nichts kommt nichts: Wie aus Kriegskindern Fachsozialbetreuerinnen werden

Damira Bešić (40), aus Bosnien und Herzegowina, Fachsozialbetreuerin in der Altenarbeit

Der Krieg sucht sich seine Opfer nicht aus, genauso wenig haben wir uns unser Schicksal aussuchen können. Jeder Mensch lebt in seinem eigenen kleinen Mikrokosmos, doch im Angesicht des Krieges sind wir alle gleich, und so blieb uns nichts anderes übrig, als unsere Heimat, Bosnien und Herzegowina, zu verlassen. Mit meiner Mutter und meinen zwei Brüdern fand ich mich nach einer beschwerlichen Reise in einem Flüchtlingslager in Linz wieder. Ich war damals 15 Jahre alt und erlebte jeden Moment dieser „Zwangsreise“ bewusst mit. Dieses Gefühl, nicht zu wissen wie es mit einem weitergeht, ist unbeschreiblich beängstigend. Einzig die Hoffnung darauf, dass das Leben ein Puzzle ist, in welchem sich die Teile später ineinander fügen, half mir, diesen Schock zu überwinden.
Von da aus ging es weiter nach Munderfing, wo wir von einem hilfsbereiten Mann namens Reinhard aufgenommen wurden, mit dem wir auch heute noch befreundet sind. Er war selbst Vater einer Tochter, lebte in einem großen Haus und bestand darauf, eine Familie mit zumindest drei Kindern aufzunehmen. Für uns war das ein Wink des Schicksals und eine Chance, in Österreich Fuß zu fassen. Reinhard war der Überzeugung, dass Bildung der beste Weg ist, sich in eine Gesellschaft einzugliedern. So besuchte ich gleich das Gymnasium in Neumarkt am Wallersee, in der Annahme, ich könne dort weitermachen, wo ich in Bosnien aufgehört hatte. Allerdings war das Niveau für mich viel zu hoch, weil ich weder Deutsch noch die vielen anderen Fremdsprachen beherrschte, die zum Pflichtplan gehörten. Nach anderthalb Jahren gab ich mich geschlagen. Nach einem Besuch im AMS begann ich mit einem Deutsch- und Orientierungskurs für Jugendliche. Wie das Leben so spielt, fuhr ich immer mit dem Citybus zu den Kursen und lief dabei der Mutter meines zukünftigen Chefs über den Weg. Ich nützte die Gelegenheit, eine Lehre in seinem Friseursalon zu beginnen und schloss diese mit der Gesellenprüfung ab. Ich war froh, endlich eine Ausbildung in der Tasche zu haben, aber mein Traumberuf entwickelte sich daraus nicht.
In dieser Zeit lernte ich meinen Ehemann kennen. Bald schon heirateten wir und bekamen eine Tochter und einen Sohn. Familiär war ich sehr glücklich, doch der berufliche Teil ließ mir keine Ruhe, bis ich auf die Idee kam, eine Ausbildung zur Heimhilfe zu absolvieren. Diese finanzierte ich aus eigener Tasche und schloss sie erfolgreich ab. Nach zwei Jahren als Heimhilfe bei der Volkshilfe motivierte mich meine Vorgesetzte, eine Ausbildung zur Fachsozialbetreuerin in der Altenarbeit zu machen. Diese Chance nützte ich und arbeite nun seit drei Jahren in diesem Beruf. Dabei gehe ich auf die körperlichen und seelischen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten ein und helfe ihnen bei der Wiederherstellung und Erhaltung ihrer Fähigkeiten, mit dem Ziel, ihnen ein möglichst selbstständiges Leben zu ermöglichen. Zudem habe ich viel Kontakt zu den Angehörigen und begleite sie in dieser oftmals schwierigen Lebensphase. Ich liebe meine Arbeit, weil mir meine Patienten viel zurückgeben. Sie sind dankbar für jedes Lächeln, für ein offenes Ohr und das Mitgefühl und Verständnis, das man ihnen entgegenbringt.
Was mich als Mensch auszeichnet, ist mein starker Wille und mein Leitspruch „Von nichts kommt nichts“, weder im Berufs- und Familienleben noch wenn es um Integration geht. Ich liebe Österreich, weil es mir viele Möglichkeiten und neue Freundschaften geschenkt hat. Das ist mitunter der Grund, warum ich damals nach dem Bosnienkrieg nicht mit meiner Familie zurückgegangen bin, sondern mich für ein Leben in Österreich entschieden habe. Heimat ist für mich kein Ort auf der Landkarte, sondern einer, den man im Herzen trägt. Genauso wie man viele Menschen ins Herz schließen kann, kann man sich auch an mehreren Orten zuhause fühlen.

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