Jedes Land hat eine eigene Melodie…

Meine neue Heimat

In der Serie „Meine neue Heimat“ werden Menschen vorgestellt, die aus verschiedensten Ländern nach Braunau am Inn gekommen sind und hier eine neue Heimat gefunden haben. Die Beiträge stammen von Mag. Elma Pandžić.

Jedes Land hat eine eigene Melodie…

Shaimaa Sakr (30), aus Ägypten, Studium als Musiklehrerin, Trainerin im Rucksack-Projekt, in Ausbildung zur Kindergartenassistentin, in Österreich seit 2009

Ich vermisse das Meer, die Sandstrände, die Wärme und die Gassen, durch die Tag und Nacht Menschen strömen. In Alexandria ist es nie ruhig. Die ägyptische Hafenstadt am Mittelmeer, meine Heimatstadt, ist voller Geschichte und imposanter Bauten. Einst standen hier ein Leuchtturm, der zu den sieben Weltwundern der Antike gehörte, und eine legendäre Bibliothek. Heute ist sie in den modernen Komplex der Bibliotheca Alexandrina integriert, ein schriller Bau mit silbernem Schrägdach. All diese Orte habe ich in der Vergangenheit oft besucht. Unglaublich, nicht wahr? Viele Europäer denken, dass Frauen in Ägypten ausschließlich am Herd stehen und Kinder großziehen. Die Realität sieht anders aus. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Bildung einen hohen Stellenwert genießt. Meine Brüder haben BWL studiert, während ich mich für ein Studium an der musikalischen Fakultät entschieden habe. Wenn ich meine zwei Leidenschaften zusammenfassen könnte, dann wären das die Musik und die Arbeit mit Kindern. Ich habe neben der Uni vier Jahre lang im Theater als Sängerin gearbeitet, in einer Band gesungen und war nach dem Studium als Musiklehrerin in einer Sprachenschule tätig. Ich spiele Klavier, Gitarre, Violine und Akkordeon, und am liebsten von allem ist mir der Gesang.
Nach dem Studium lernte ich meinen Mann kennen. Er lebte in Österreich, machte jedoch regelmäßig Urlaub in Ägypten. Wir waren quasi Nachbarn, und auch unsere Eltern kannten sich gut. Das änderte nichts daran, dass es meinem Vater sehr schwerfiel, mich gehen zu lassen. Meine Eltern sind für mich immer eine wichtige Stütze gewesen. Zu heiraten und fortzugehen, war für beide Seiten dementsprechend schwierig. Angekommen in Österreich, hieß es für mich „Deutsch lernen“. Ich machte etliche Kurse, bevor meine erste Tochter zur Welt kam, pausierte und machte schließlich weiter. Einige Jahre später erblickte meine zweite Tochter das Licht der Welt, und ich merkte, dass es gar nicht so einfach ist, als Mutter alles unter einen Hut zu bekommen. Dank meiner Ausdauer habe ich es jedoch geschafft, alle Prüfungen erfolgreich abzulegen, in Kürze beginne ich mit einer Ausbildung zur Kindergarten-Assistentin. Meine Kinder sind nun alt genug, um den Kindergarten und die Schule zu besuchen, und so habe ich die Möglichkeit, mich zu verwirklichen. Seit einigen Monaten arbeite ich als Trainerin im „Rucksack-Projekt“. Dabei handelt es sich um ein Bildungsprogramm, das seit 2016 in den Kindergärten der Stadt Braunau angeboten wird. Es wendet sich an Familien mit und ohne Migrationshintergrund und hilft ihnen unter anderem dabei, neben dem Erlernen der deutschen Sprache, insbesondere ihre Muttersprache zu festigen. Carolina Gil-Martinez und ich leiten die Gruppen in den Kindergärten Stadt und Süd. Die Arbeit macht mir viel Spaß, weil sie sehr abwechslungsreich ist. Wir arbeiten mit Sprechbildern, Geschichten und Spielen und sorgen durch unsere Arbeit dafür, dass der Austausch zwischen den Eltern gestärkt wird. Gerade das vermisste ich in den ersten Monaten in Österreich. Ich hatte nur wenige Kontakte und Menschen, mit denen ich etwas unternehmen konnte. In Braunau ist in diesem Bereich in den vergangenen Jahren viel passiert. Ich engagiere mich im Integrationsforum und besuche das Weltcafé, so oft es geht. Meine Kinder fühlen sich dort pudelwohl, weil es kinderfreundlich ist und ich die Gelegenheit habe, mich mit anderen Müttern auszutauschen. Solche Nachmittage kommen also uns allen zugute.
Meine Wurzeln sind für mich sehr wertvoll, weswegen ich zumindest ein Mal im Jahr nach Ägypten fliege. Zugleich bin ich froh, hier leben zu dürfen. Ich habe in Braunau einen Ort gefunden, an dem ich gerne bin, an dem meine Kinder eine gute Ausbildung genießen und wir umgeben sind von lieben Menschen. Für mich hat jedes Land eine eigene Melodie – die österreichische ist anders als die ägyptische, aber mindestens genauso schön.

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