Spanien ist Heimat – Österreich Zuhause
Carolina Gil – Martinez

Meine neue Heimat

In der Serie „Meine neue Heimat“ werden Menschen vorgestellt, die aus verschiedensten Ländern nach Braunau am Inn gekommen sind und hier eine neue Heimat gefunden haben. Die Texte stammen von Mag. Elma Pandžić.

Spanien ist Heimat – Österreich Zuhause

Carolina Gil-Martinez (39), aus Spanien, Spanischlehrerin an der VHS Braunau und bei KTM Mattighofen

Hätte mir jemand vor 20 Jahren prophezeit, dass ich irgendwann in Österreich leben werde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Mittlerweile weiß ich, wie ausschlaggebend ein einziger kurzer Moment für unser gesamtes Leben sein kann und dass es voller Wendungen ist, mit denen man niemals gerechnet hätte.

Als drittes von vier Kindern wuchs ich in Madrid in einer lebendigen und fröhlichen Familie auf. Ich studierte Politikwissenschaften im fünften Semester und beschloss im Alter von 23 Jahren das erste Mal ohne meine Eltern zu verreisen. Mit einer guten Freundin flog ich nach Ibiza, um den Studienalltag hinter mir und die Seele baumeln zu lassen. Wider Erwarten ähnelte der Urlaub am Ende eher einer Achterbahn der Gefühle – der Liebe auf den ersten Blick sei Dank. Am letzten Abend beschloss meine Freundin, feiern zu gehen. Ich blieb lieber im Hotel und traf dabei im Foyer auf meinen Zukünftigen. Wir kamen ins Gespräch und merkten schnell, dass die Chemie stimmte. Wir tauschten Telefonnummern aus und flogen beide mit viel Gefühlschaos im Gepäck wieder zurück nach Hause, ich nach Madrid, er nach Braunau.

Die meisten Urlaubsflirts enden damit, dass man sich irgendwann aus den Augen verliert, doch bei uns war es anders. Wir führten sechs Monate lang eine Fernbeziehung und bemühten uns, so gut es ging, uns regelmäßig zu sehen. Ich verbrachte ein Wochenende in Braunau und lernte gleich seine ganze Familie kennen. Die Skepsis meiner Landsleute und die Ängste meiner Eltern, ich könne mich als temperamentvolle Spanierin in einem „kühlen“ Land wie Österreich nie heimisch fühlen, waren unbegründet. Ich fühlte mich willkommen, und die Hilfsbereitschaft des Umfeldes meines Mannes, in Anbetracht meiner mangelnden Deutschkenntnisse, war sehr groß. Auch er lernte meine Eltern kennen, und schließlich beschlossen wir in Österreich zu leben. Für meine Familie war das ein harter Brocken. Es war für sie schwer genug gewesen zu akzeptieren, dass ihre Tochter auf ihrer ersten Reise ohne sie den Mann fürs Leben gefunden hatte. Dass ich nun meine Heimat verlassen wollte, war für alle ein großer Schock und sorgte bei mir, zumindest zu Beginn, für viel Heimweh.

Am 20. März 2002 kam ich in meinem neuen Zuhause an. Ich war verliebt, verlobt, verheiratet und unbeschreiblich glücklich, bis zu jenem Tag, als zwei wichtige Menschen aus unserem Leben gerissen wurden. Nur drei Monate nach meiner Ankunft in Braunau verunglückten meine Schwiegermutter und mein Schwager bei einem Autounfall. Mit diesem Schicksalsschlag hatten wir sehr zu kämpfen, ich vor allem deswegen, weil ich meine Schwiegermutter von Anfang an ins Herz geschlossen hatte. Sie war diejenige gewesen, die meinen Mann darin bestärkt hatte, immer wieder nach Spanien zu fliegen und mich zu treffen. Sie hatte mich in ihrer Familie willkommen geheißen, obwohl wir uns nur mit Händen und Füßen verständigen konnten. Manche Wunden heilen nie, einfacher wurde es aber, als unsere Kinder zur Welt kamen. Meine Tochter (11) und mein Sohn (8) sind für meinen Schwiegervater ein großer Trost. Ich erziehe sie zweisprachig und fliege mit ihnen oft nach Spanien, weil es mir wichtig ist, dass sie ihre Wurzeln kennen und den Kontakt zu meiner Familie nicht verlieren.

Von Berufs wegen bin ich Spanischlehrerin mit Leib und Seele. Zwar habe ich vor einiger Zeit auch eine Ausbildung zur Kindergartenassistentin gemacht, doch mit zwei Kindern war es schwierig, beide Berufe zu managen. Einige Monate nach meiner Ankunft in Braunau hatte ich das Angebot bekommen, an der Volkshochschule Spanisch zu unterrichten. Diese Arbeit hat nicht nur dafür gesorgt, dass ich selbst schnell Deutsch lernte und mich auch mit meiner Muttersprache auseinandersetzte, sondern dass ich tagtäglich die Möglichkeit habe, die Kultur und Sprache meines Landes weiterzugeben und dabei mein Heimweh ein Stück weit zu lindern. Das Studium der Politikwissenschaften habe ich leider nicht abgeschlossen, weil es damals meine Priorität war, Deutsch zu lernen – aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Ich denke, man ist nie zu alt, höchstens aber nicht mutig genug, um seine Ziele zu erreichen.

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